TV 1908 Kirchzell

Tom Spieß im Interview mit dem Main-Echo

»Es fühlt sich nicht schlimm an«: TVK-Handballer Tom Spieß über den Lockdown und seinen weiterspielenden Bruder

Tom und Lars Spieß sind als leidenschaftliche und gegen sich selbst harte Handballer bekannt. Die sportliche Karriere der in Lörrach geborenen Zwillingsbrüder verlief fast immer im Gleichschritt. So spielten beide sowohl für die DJK Rimpar Wölfe als auch für den TV Großwallstadt in der 2. Bundesliga. Gemeinsam holten sie sich 2014 den Junioren-Europameistertitel. Erst im Sommer 2020 trennten sich die Wege. Während Lars derzeit trotz Corona mit dem TVG in der 2. Liga auflaufen darf, musste Tom – nun in Diensten des Drittligisten TV Kirchzell – nach wenigen Spielen in den Handball-Lockdown. Das Medienhaus sprach mit dem 26-jährigen Tom Spieß über Sport und Beruf in Corona-Zeiten.

Herr Spieß, wie hart ist für Sie der Lockdown? Schließlich spielen Sie ja seit Kindesbeinen an ununterbrochen Handball.
Spieß: Ich habe ja jetzt schon den zweiten Lockdown mitgemacht. Die letzte Saison wurde abgebrochen, da durften wir gar nicht weiterspielen. Als diese Runde angefangen hat, konnte man sich ja schnell ausrechnen, dass der Spielbetrieb über kurz oder lang zum Erliegen kommen würde. Das kam zwar alles nicht überraschend, trotzdem finde ich es sehr schade. Doch ich muss sagen, dass es in der allgemeinen Situation richtig ist, dass kein Spielbetrieb stattfindet. Es ist ja nur schwer zu vertreten, dass auf der einen Seite Restaurants, Läden, die Kultur und so weiter nicht öffnen dürfen und brach liegen, und wir rennen in der Halle rum.

Also fällt Ihnen der Lockdown gar nicht so schwer?
Spieß: Ich habe wirklich gedacht, dass es mir schwerer fallen würde. Natürlich würde ich gerne mal wieder trainieren und spielen, wobei an Spielbetrieb aktuell nicht zu denken ist. Wenn sich die allgemeine Situation wieder beruhigt, kann man hoffentlich wieder mit der Mannschaft trainieren und sich langsam steigern, denn aufgrund der langen Pause wäre die Verletzungsgefahr bei einer direkten Wiederaufnahme des Spielbetriebs zu groß. Generell habe ich die freie Zeit gut genutzt.

»Wir haben viel Potenzial, das wir bisher nicht ausschöpfen konnten.«

Wofür zum Beispiel?
Spieß: Naja, wir gucken nach Feierabend gerne mal Serien, ich mache viel Sport draußen und habe mich im Langlauf geübt (grinst). Im ersten Lockdown war ich ja noch beim TV Großwallstadt. Da bin ich sehr viel mit dem Mountainbike unterwegs gewesen. Allerdings war damals das Wetter Bombe, und ich bin oft gelaufen und habe mich viel im Freien aufgehalten.

Jetzt darf Ihr Bruder, der in der 2. Bundesliga beim TV Großwallstadt spielt, trainieren. In Kürze geht der Spielbetrieb nach der Winterpause wieder weiter. Sie dürfen nicht trainieren, und die Saison in der 3. Liga wird wahrscheinlich gar nicht mehr fortgeführt werden. Wie fühlt sich das an?
Spieß: Es fühlt sich nicht schlimm an. Lars hat das Glück, dass er weiter trainieren und spielen darf. Er spielt in einer anderen Liga, da gelten andere Regelungen. Ich freue mich für ihn und gönne es ihm und seiner Mannschaft. Aber, ehrlich gesagt, möchte ich grad nicht mit ihnen tauschen. Im Dezember hattest du aufgrund des Corona-Zeitplans gefühlt jeden dritten Tag ein Spiel, dazwischen Training und Beruf oder Uni. Schön, dass sie spielen können, wobei ich es ohne Zuschauer auf Dauer kritisch sehe. Für den einen oder anderen Verein, der mit hohen Zuschauereinnahmen kalkuliert hat, könnte es finanziell eng werden.

Apropos Runde. Gibt es Neuigkeiten aus der 3. Liga, wie es weitergehen soll?
Spieß: Wir beim TV Kirchzell haben so ungefähr alle drei Wochen eine Videokonferenz mit der Mannschaft, dem Trainer und sportlichen Leiter. Dann bekommen wir ein Update. Sieht man es realistisch, dann wird die Runde wohl nicht zu Ende gespielt werden können. Angedacht ist, eine Art Pokalrunde auszutragen. Wohl relativ sicher ist, dass es keine Absteiger geben wird. Es soll wohl eine Aufstiegsrunde zur 2. Liga geben, an der jeder Verein gegen eine Startgebühr teilnehmen kann. Doch das steht alles noch nicht fest. Ich denke, dass sich der DHB an die Politik anheften und dementsprechend entscheiden wird. Wir hatten ja erst jüngst die Diskussion, ob die 3. Liga Profisport ist oder nicht. Fakt ist, dass viele Vereine derzeit keine Hallen von den Kommunen zur Verfügung gestellt bekommen. Deshalb sind die Trainingsbedingungen auch völlig unterschiedlich. Wir in Bayern dürfen nicht trainieren, in anderen Bundesländern wiederum darf trainiert werden. Vielleicht wird auch nur eine Art Trainingsspiele unter Wettkampfbedingungen ausgetragen. Wir müssen abwarten, was passiert.

»Wohl relativ sicher ist, dass es keine Absteiger geben wird.«

Sie haben im letzten Jahr Ihr Studium beendet. Was machen Sie beruflich?
Spieß: Ich habe Betriebswirtschaftslehre und Recht studiert mit Fokus auf den wirtschaftlichen Bereich. Im Juni 2020 habe ich meinen Abschluss als Bachelor of Arts gemacht. Ich habe schon als Praktikant und Werkstudent bei der Firma Alcon in Großostheim gearbeitet und seit 1. November einen Vollzeitjob im Bereich Vertrieb und Marketing bei Alcon. Da Ende Oktober Handball eingestellt wurde, hat das perfekt gepasst. Wenn es wieder losgehen sollte mit Handball, dann sind viermal Training plus ein Spiel in der Woche für mich machbar. Mein Arbeitgeber ist sehr flexibel, das ist also kein Problem.

Das heißt, Sie sind finanziell unabhängig vom TV Kirchzell?
Spieß: Auf jeden Fall. Ich lebe nicht davon, das würde auch gar nicht funktionieren. Ich hab meinen Job und bin sehr froh darüber. Aber es gibt ja auch in der 3. Liga »Fast-Profis«. Für die ist die Situation wahrscheinlich schwierig.

Sie haben jetzt schon einige Spiele ohne Ihren Bruder Lars absolviert. War das eine Umstellung für Sie?
Spieß: Generell konzentriert man sich als Sportler aufs Wesentliche. Wenn einer von uns verletzt war, musste der andere ja auch alleine spielen (grinst). Das geht schon alles problemlos. Ich bin noch nie aufs Spielfeld und habe gedacht: Oh, mein Bruder ist nicht da oder mein Bruder fehlt mir? Nein, so ist das nicht. Privat haben wir immer noch ganz viel Kontakt. Da hat sich nichts verändert. Gut, jetzt in der Coronazeit muss sich jeder von uns einschränken und sich mit den privaten Kontakten zurückhalten. Wir sehen uns nicht mehr täglich. Aber es gibt ja Telefon, Whatsapp und einiges mehr. Aufgrund unseres Berufs – ich arbeite jetzt Vollzeit und Lars derzeit noch als Werkstudent – wäre es in der Häufigkeit eh etwas weniger geworden. Auch, weil wir beide mittlerweile in unterschiedlichen Orten wohnen.

»Lars hat das Glück, dass er weiter trainieren und spielen darf.«

Wenn Deutschland die Pandemie wieder in den Griff bekommen hat und es in der 3. Liga weiter geht, wie sehen Ihre sportlichen Ambitionen dann aus?
Spieß: Derzeit kann ja keiner von uns voraussehen, was die nächsten Monate passieren wird. Gehen wir einmal davon aus, dass die neue Saison »normal« verlaufen wird, dann wäre das Minimalziel der Klassenerhalt. Wir hatten zuletzt mit 0:6 Punkten einen suboptimalen Start in diese Saison. Aber wir sind eine junge Truppe, und ich gehöre mit meinen 26 Jahren schon zu den »Alten«. Wir haben viel Potenzial, das wir bisher nicht ausschöpfen konnten. Schwer wog auch der Ausfall von Tim Häufglöckner. Mein Ziel für die Zukunft wäre schonmal das Mittelfeld, dass wir nicht bis zum letzten Tag um den Klassenerhalt bangen müssen. Aber, wie gesagt, das hängt von vielen Faktoren ab – wir wissen nicht, wie viele und welche Vereine für die neue Saison melden, in welche Staffel wir kommen und ob wir als Mannschaft so zusammenbleiben.

Können Sie derzeit in der vereinseigenen Halle in Kirchzell ein wenig trainieren?
Spieß: Wir können – wenn überhaupt – nur zu zweit trainieren. Ein Feldspieler und ein Torhüter machen Wurftraining, manchmal gehen wir in den Kraftraum. Aber immer nur mit zwei Leuten. Und einmal die Woche gibt es ein Online-Training mit speziellen Übungen. Darüber sind wir froh, auch wenn es nur digital ist.

Alles in allem klingen Sie so, als wäre das vergangene Jahr für Sie trotz der Pandemie gut gelaufen?
Spieß: Das kann man so sagen. Mir kam der Lockdown entgegen. Ich hatte viel Zeit für meine Bachelor-Arbeit, im Juni habe ich meinen Abschluss gemacht, im Sommer konnte ich mich super auf Handball vorbereiten. Im November kam der Vollzeitjob dazu und Ende Dezember habe ich geheiratet. Ich kann mich nicht über das Jahr 2020 beschweren.